..ihr habet die Wahl... |
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Die Warägergarde der Kaiser |
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Die Warägergarde der Kaiser
Die Wikinger in Byzanz.
Bei der Warägergarde in Byzanz handelt es sich um eine der ganz wenigen Söldnereinheiten, deren Geschichte nach Jahrhunderten gerechnet werden kann. Möglicherweise wird die Dauer ihres Dienstes und die Anzahl der von ihr bestandenen Schlachten nur von den Schweizern in französischem Sold übertroffen. Doch während die Schweizer lediglich ins benachbarte Frankreich ziehen mussten, in Zeiten, in denen es bereits feste Postverbindungen und diplomatische Vertretungen gab, mussten die Nordmänner bis ans Ende der ihnen bekannten Welt reisen. Für die Byzantiner kamen sie aus dem fernen Thule, von dem nur Sagen und Legenden berichteten.
Bereits im 9. Jahrhundert waren schwedische Wikinger entlang der Flüsse in das Gebiet des späteren Russland eingedrungen. Sie kamen als Händler oder als Räuber, je nachdem wie sie die Möglichkeiten eines guten Gewinns einschätzten. Bald errichten sie erste befestigte Handelsplätze und begannen damit die einheimische Bevölkerung zu unterwerfen. Um 850 hatten sie u.a. in Nowgorod und Kiew eigene Fürstentümer errichtet, in denen die Wikinger jedoch nur eine dünne Oberschicht stellten, die sich zudem zur Sicherung ihrer Macht schnell mit slawischen Adelsfamilien verschwägerten. Die Slawen nannten die Nordmänner "Rus", und bald wurde dieser Name für das gesamte unter der Führung Kiews vereinte Reich benutzt. Oft wurde jedoch auch die Bezeichnung "Waräger" verwendet, womit entweder ein Fremder, der Kriegsdienst genommen hat, gemeint war, oder ein Mann, der zu einer Vereinigung von Händlern oder Kriegern gehörte. Manchmal wurden zwar beide Begriffe synonym verwendet. Mit der Zeit bezeichnete man mit Rus jedoch die fest ansässige Adelsschicht, die sowohl skandinavische wie auch slawische Wurzeln hatte, und mit Waräger die aus Skandinavien stammen Krieger, die weiterhin ins Land kamen, um Handel zu treiben, oder ihre Schwerter an die Rus zu vermieten.
Bei ihren Kriegen und internen Fehden warben die Fürsten der Rus bevorzugt neue Kämpfer aus dem Norden, was durch die bestehenden Handelsrouten und alte Verwandtschaftsbeziehungen ermöglicht wurde. Da die Rus ursprünglich als Händler und Piraten gekommen waren, lag es in der Natur der Sache, dass sie von Kiew den Dnjepr weiter hinab fuhren, das schwarze Meer durchquerten und im reichen Byzanz das wirklich lohnende Objekt ihrer Begierde erblickten. Den ersten Angriff unternahmen sie bereits 860, weitere folgten bis zu dem letzten großen 1043. Zwischen diesen erfolglosen Angriffen trieben die Kiewer Fürsten jedoch in bester Wikingertradition fleißig Handel mit Byzanz, heirateten byzantinische Prinzessinnen und lieferten Söldner. Und so erstaunt es nicht, dass die Daten über die Verwendung "russischer" Söldner in byzantinischen Diensten noch häufiger sind als die russischer Überfälle. Wenn man den anderen nicht berauben konnte, so trieb man eben mit ihm Handel oder nahm sein Geld als Söldner.
In Byzanz trafen die Waräger zudem auf den einzigen Staat in Europa, dessen Finanzwesen es noch erlaubte, Söldner regelmäßig zu bezahlen. Neben den von den einzelnen Militärdistrikten - den Themen - aufgebrachten Truppen, beschäftigten die Byzantiner zahlreiche Fremde: Normannen, Ungarn, Türken, Lombarden, Georgier, Armenier, Araber, Slawen und viele andere. Die ersten "russischen" Krieger werden 902 bei einer Expedition nach Kreta erwähnt. Da die überlieferten Namen alle nordischen Ursprungs sind, kann man davon ausgehen, dass es sich bei dieser 700 Mann starken Hilfstruppe hauptsächlich um Waräger handelte. Weitere folgten und die Waräger scheinen schnell ein fester Bestandteil im byzantinischen Vielvölkerheer geworden zu sein.
Zu einer festen Institution wurden die Waräger jedoch durch die Machtkämpfe in Kiew. Wladimir der jüngste von drei Brüdern hatte zuerst "übers Meer" (nach Schweden ) fliehen müssen und war dann mit zahlreichen Warägern zurückgekehrt und hatte den Thron erobert. Danach stand er wahrscheinlich vor dem Problem, dass er seine Verbündeten auf Dauer nicht bezahlen konnte, diese aber noch wenig Lust verspürten, in ihre Heimat zurückzukehren. Ungestüm sollen sie von ihm verlangt haben, ihnen den Weg nach Miklagard - der großen Stadt wie sie Byzanz nannten - zu zeigen. 987 schickte Wladimir dann 6.000 dieser unruhigen Krieger an Kaiser Basileos II., der vor allem mit Hilfe dieser Truppe seinen Anspruch auf den Thron durchsetzen konnte. Von da an wurden die Waräger, zur "Axt tragenden Wache", zum Kern der kaiserlichen Leibgarde.
In den folgenden Jahren kämpften die Waräger in Syrien, beim Angriff auf Damaskus, in Armenien und in Sizilien. Allerdings kamen die ankommenden Nordmänner nicht automatisch in die Garde. Diese war ein äußerst exklusiver Verein; ihre Angehörigen erhielten höheren Sold, wurden beim Beutemachen bevorzugt und hatten das Privileg, beim Tod eines Kaisers den Palast zu plündern. Zudem kann man sich gut vorstellen, dass gerade der byzantinische Hof noch andere Erwerbsquellen bot für Leute, die eventuell des Kaisers Ohr erreichen konnten. Stellungen in der Garde wurden deshalb für gutes Geld verkauft, und viele Neuankömmlinge dienten erst in anderen Warägereinheiten, bis sie das notwendige Kapital beisammen hatten.
Im Kampf bewährten sich alle Waräger meistens hervorragend, wodurch sie bald in den Ruf der byzantinischen Elitetruppe schlechthin kamen. So beichtet ein Chronist von den Kämpfen in Süditalien 1018 gegen Normannen und Langobarden: "Als der Kaiser erfuhr, dass tapfere Ritter in sein Land eingefallen waren, schickte er seine besten Soldaten gegen sie. In den ersten drei Schlachten siegten die Normannen, als sie aber auf die Russen trafen, wurden sie vernichtend geschlagen und ihre Armee wurde vollständig zerstört." Als in der Schlacht bei Beroë (1122) gegen die Petschenegen zuerst die Griechen und dann auch die fränkischen Söldner versagten, riefen die Berater des Kaisers nach dessen "Weinschläuchen", wie die Gardisten anscheinend auch genannt wurden. Diese griffen ohne zu zögern an und brachten die Entscheidung. Besonders geschätzt wurde allerdings ihre Loyalität, die sie nach Anna Komnena geradezu wie ein geheiligtes Erbe von Generation zu Generation weitergaben.
Als Ausländer hatten sie mit den Kabalen und Intrigen am byzantinischen Hof nur wenig zu tun. Zudem waren sie wahrscheinlich schon von Kindheit an dazu erzogen worden, dem die Treue zu halten, der sie bezahlte und beschenkte. Man sollte aber auch nicht den exotischen Reiz unterschätzen den eine solche Garde barbarischer Riesen mit ihren fremden Waffen für das Hofzeremoniell hatte. So hatten sich auch schon Caligula und Nero eine germanische Leibwache gehalten, an der sie neben Mut und Treue vor allem auch die Körpergröße - das Gardemaß - geschätzt haben sollen.
Nachdem die Waräger erst einmal eine feste Institution geworden waren, erwies sich die Verbindung zwischen Skandinavien und Byzanz geradezu als idealtypisch für die Söldnerwerbung. Auf der einen Seite stand das reiche Imperium mit seinem konstanten Bedarf an zuverlässigen Truppen, auf der anderen arme bäuerliche Regionen, deren kriegerische Bevölkerung in ganz Nordeuropa nach Möglichkeiten suchte, ihr Glück zu machen. Zu den Warägern aus Schweden kamen deshalb auch bald welche aus Dänemark und Norwegen. Selbst aus dem fernen Island machten sich einige auf den Weg. Manche Runeninschriften auf Gedenksteinen in Skandinavien erinnern noch an das Schicksal dieser verlorenen Söhne. Z.B.: "für Folkbjörn, der in Griechenland starb" oder "aufgestellt von Vefar für seinen Bruder, der in Arabien starb." Wesentlich weniger künden von einem glücklicheren Schicksal, wie der eines gewissen Mursi, von dem es heißt: "Er machte viel Geld für seine Erben in Griechenland."
Dennoch scheinen gerade die glücklichen Heimkehrer die beste Werbung gewesen zu sein. So berichtet die Laxdaelasaga von dem Isländer Bolli Bollason, der nach Byzanz zog und dort in der Warägergarde zum Offizier aufgestiegen viele Jahre diente. Seine Heimkehr um 1030 wird so beschrieben: "Bolli brachte viel Geld und viele Kostbarkeiten mit sich, die ihm der große Herr gegeben hatte. Er hatte so reiche Kleider bei seiner Heimkehr, dass er nur solche aus Purpur und Samt trug, und alle seine Waffen waren mit Gold eingelegt. Man nannte ihn Bolli den Prächtigen. Bolli ritt von seinem Schiff mit elf Gefährten, die alle die feinsten Kleider trugen und auf vergoldeten Sätteln saßen. Alle waren schöne Männer, aber Bolli war mit Abstand der schönste. Er trug Kleider aus Samt, die ihm der Kaiser gegeben hatte und über ihnen einen Mantel aus edlem rotem Stoff. An seiner Seite trug er sein Schwert Fußbeißer, dessen Griff mit Gold eingelegt war, ebenso die Schneide. Er trug einen goldenen Helm und hatte einen roten Schild an seiner Seite, auf dem mit Gold ein Ritter gemalt war. […] Und wo auch immer sie die Nacht verbrachten, starrten die Frauen nur auf den prächtigen Schmuck von Bolli und seinen Gefährten."
Diese Passage erinnert den modernen Leser sicher nicht ganz ohne Grund an die Heimkehr des in der Fremde erfolgreichen Emigranten, der im Mercedes und mit Goldketten behängt in seinem Heimatdorf vorfährt; und man sollte sich vorstellen, welche Auswirkungen solche Erzählungen in dem bitterarmen Island hatten, wo normale Bauern bis ins 20.Jahrhundert in finsteren Erdhöhlen wohnten, Trockenfisch das tägliche Brot ersetzte und gekochte Schafsköpfe eine Delikatesse waren.
Es machten sich aber nicht nur arme Bauernsöhne auf den weiten Weg. Byzanz wurde auch zu einem Refugium für solche, die vor dem Gesetz oder der Blutrache auf der Flucht waren, oder die ein Machtwechsel in der Heimat ins Exil getrieben hatte. Am berühmtesten ist hier sicher Harald Sigurdarson, der später als Harald Hardrada König von Norwegen wurde. Er war der jüngere Halbbruder des norwegischen Königs Olaf II., und musste mit diesem vor den Dänen nach Schweden ins Exil fliehen. Wie so viele dieser Prinzen, die im Laufe der Geschichte ihr Glück als Söldner in der Fremde suchen mussten, hatte er wahrscheinlich immer noch eine Gruppe Getreuer bei sich und konnte durch seinen Namen auch andere Norweger an sich ziehen. Das bedeutete, dass er seine Karriere nicht als einfacher Söldner beginnen musste, sondern gleich eine komplette ihm treu ergebene Truppe anbieten konnte. Von Schweden fuhr Harald erst einmal nach Kiew und trat dort für einige Jahre in den Dienst von Fürst Jaroslav. 1034 kam er dann mit 500 Mann nach Byzanz.
In der Garde hatte man jedoch am Anfang keine Verwendung für Harald oder er konnte den Eintrittspreis nicht bezahlen, und so wurden er und seine Männer erst einmal bei der Flotte zur Bekämpfung arabischer Piraten eingesetzt. Von 1038 bis 41 kämpften sie dann unter dem berühmten byzantinischen Feldherren Georgios Maniaces in Sizilien gegen die Araber. Es war ein äußerst harter und langwieriger Krieg, in dem die Byzantiner zwar auch empfindliche Niederlagen einstecken mussten, letzten Endes jedoch einen Großteil Siziliens zurückeroberten. Für die Waräger war es sicher eine gute Gelegenheit, reiche Beute zu machen. Harald machte sich jedenfalls während dieser Kämpfe einen großen Namen und wurde wahrscheinlich nach seiner Rückkehr nach Byzanz Mitglied der Garde.
Er hatte inzwischen große Reichtümer angehäuft. Denn in der Heimskringla wird berichtet, dass er einen gewaltigen Schatz an Fürst Jaroslav von Kiew schickte, um ihn dort in Sicherheit zu wissen. Ein guter Teil stammte sicher aus Sizilien, aber auch schon vorher hatte ihm die Piratenbekämpfung die Möglichkeit geboten, einiges auf die Seite zu schaffen. Denn er musste pro Schiff 100 Mark an den Kaiser abgeben, den Rest konnte er für sich und seine Männer behalten. Nach dem Krieg auf Sizilien kämpfte er in Bulgarien, und anschließend wurde er mit seiner Truppe als Steuereintreiber eingesetzt, was ebenfalls große Möglichkeiten zur Bereicherung bot. Harald scheint diese ausgiebig genutzt zu haben, denn er wurde schließlich wegen Unterschlagung ins Gefängnis geworfen. Zwei Isländer, die als Offiziere in der Garde dienten, sollen sein Schicksal geteilt haben. Die Waräger, die solche Unterschleife als ihr gutes Recht betrachteten, waren offensichtlich empört. Denn es wird berichtet, dass der neue Kaiser Michael V. fortan skythische Sklaven als Leibwächter beschäftigte.
Durch diese Ereignisse hatten die Waräger viel Einfluss verloren. Sie saßen nun murrend in ihren Kasernen und ihre Offiziere konspirierten. Eine Gelegenheit bot sich bald. Als Michael V. den Bruder des gestorbenen Kaisers, den mächtigen Eunuchen Johannes, und die Kaiserwitwe Zoe entmachtete, kam es zu einem großen Volksaufstand in Byzanz, dem sich bald einige Waräger anschlossen. Beim ersten Angriff auf den Palast werden bereits Krieger mit Äxten erwähnt. Während noch der Kampf um den Palast tobte, befreiten die Verschwörer einige der wichtigsten Häftlinge. Unter ihnen Harald, der für die Loyalität der Truppe sorgen sollte. Dem Onkel des Kaisers war es mittlerweile gelungen die Verteidigung des Palastes zu organisieren und mit Bogenschützen und Ballisten die Volksmassen zurückzutreiben. Bald trafen auch Truppen aus Sizilien ein, die sich den Verteidigern anschlossen. Unter ihnen befanden sich wahrscheinlich auch Waräger, so dass sie nun auf beiden Seiten kämpften. Wahrscheinlich gelang es jedoch Harald und anderen Offizieren, viele von ihnen zum Seitenwechsel zu überreden. Schließlich wurde der Palast in einer äußerst blutigen Schlacht genommen. Die Waräger, die hierbei die Speerspitze bildeten, bahnten sich mit ihren Langäxten den Weg in die Kapelle, wo sie den Kaiser und seinen Onkel am Altar ergriffen. Die beiden wurden nach byzantinischem Brauch kurz darauf geblendet und es ist sicher, dass die Waräger diese Arbeit übernahmen, nach den nordischen Sagen soll es Harald sogar selbst ausgeführt haben: "Harald setzte eine bittere Marke auf den tapferen Mann, und der König der Griechen reiste auf einem schlimmen Weg."
Neben dieser Henkersarbeit scheint Harald auch die Aufgabe übernommen zu haben, die loyalen Waräger abzuurteilen und hinrichten zu lassen. Es versteht sich von selbst, dass Harald alle seine alten Ämter zurückerhielt und von seinen Unterschlagungen nicht mehr die Rede war. Zudem wird er bei den Kämpfen um den Palast und den folgenden Säuberungen auch wieder seinen Schnitt gemacht haben. Bald darauf erfuhr er, dass der Sohn seines verstorbenen Bruders Magnus auf den norwegischen Thron gelangt war. Wahrscheinlich dachte er sich als erfahrener Krieger, dass ihm dieser Platz wesentlich besser zustünde und machte sich auf den Weg. Nach den Sagen wollte ihn der Kaiser nicht gehen lassen, und er musste heimlich mit Hilfe einer Geliebten entfliehen. Wahrscheinlich nutzte er jedoch einen Kriegszug, um sich mit seiner Truppe nach Kiew abzusetzen. Dort blieb er einige Zeit und heiratet die Tochter von Fürst Jaroslav, bis er nach Norwegen zurückkehrte, wo er König wurde. 1066 fiel der alte Kämpe dann bei dem Versuch England zu erobern in der Schlacht bei Stamford Bridge.
Das Beispiel Haralds zeigt, dass auch die Waräger manchmal in die internen Machtkämpfe hineingezogen wurden. Dass sie sich jedoch gegen den Kaiser stellten blieb eine Ausnahme, die nur damit zu erklären ist, dass man ihnen zuvor einige ihrer Privilegien entzogen und einige populäre Offiziere ins Gefängnis geworfen hatte. Als die byzantinische Armee 1071 in die unglückliche Schlacht bei Manzikert zog, meuterten die fränkischen und normannischen Rittersöldner bereits auf dem Marsch; die Teilnahme an der Schlacht selbst wussten sie dann geschickt zu vermeiden. Die Waräger dagegen fielen an diesem Tag fast alle um den Kaiser, der dann gefangen genommen wurde. Auch 1081 bei den Kämpfen um die Kaiserkrone zwischen Nikephoros und Alexios, blieben die Waräger fast als einzige treu bei Nikephoros, während dessen deutsche Söldner Alexios heimlich ein Tor von Byzanz öffneten.
In der Regierungszeit Alexios kam es dann zu einigen wichtigen Veränderungen. Erstens scheint der klassische Nachschubweg über Kiew und die russischen Flüsse langsam versiegt zu sein. Das lag zum Teil daran, dass das Kiewer Reich immer stärker in Teilfürstentümer zerfiel, die sich gegenseitig befehdeten. Andererseits wurden Pilgerreisen ins Heilige Land immer populärer, wodurch die Seewege von Nordeuropa ins Mittelmeer besser erschlossen wurden. Natürlich kamen auch weiterhin Waräger aus Kiew, doch unter ihnen befand sich ein immer höherer Anteil slawisch sprechender Krieger. Viele waren sicher reine Slawen, andere waren die Abkömmlinge ehemaliger Nordmänner, die nun schon seit Generationen im Kiewer Reich lebten. Doch plötzlich stellten sich neue Krieger in immer größeren Zahlen ein. Nachdem die Normannen 1066 England erobert hatten, zogen es viele der alteingesessenen Geschlechter vor, ihr Glück in der Fremde zu suchen. Anfangs scheinen es mehr dänischstämmige Familien aus dem so genannten Danelaw gewesen zu sein, die auf den Spuren ihrer Vettern nach Byzanz zogen. Doch bald folgten so viele Angelsachsen, dass sie zeitweise die Mehrzahl der Warägergarde stellten. Ein Chronist unterschied jetzt zwischen "Inglinoi", "Rhos" und "Vrangoi", d.h. zwischen Angelsachsen, Russen und Skandinaviern.
Die folgenschwerste Veränderung war jedoch, dass Byzanz mit den Normannen in Italien ein neuer und besonders gefährlicher Gegner entstanden war. Die Normannen stammten wie die Kiewer Rus ebenfalls aus Skandinavien hatten sich aber in der Normandie niedergelassen und sich dort noch schneller als die Rus den Landessitten angepasst. Von dort aus waren einige nach Süditalien gekommen, wo sie wie ihre Vettern im Osten versuchten bei den Byzantinern Beute zu machen. Wenn dies nicht klappte, dienten sie eben als Söldner. So hatte Harald Hardrada noch unter Georgios Maniaces in Sizilien Seite an Seite mit den drei Söhnen Tancreds von Hauteville Drogo, William Eisenarm und Humphrey gekämpft. Mittlerweile hatten die Normannen jedoch nicht nur die Byzantiner aus Apulien und Kalabrien verdrängt, sondern auch Sizilien erobert. Damit nicht zufrieden erblickten sie in dem von den Türken schwer angeschlagenen und von inneren Machtkämpfen erschöpften Byzanz die wirklich lohnende Beute.
Nachdem Robert Guiscard - ebenfalls ein Sohn Tancreds - alle normannischen Gebiete unter seiner Herrschaft vereinigt hatte, begann er 1080 damit eine starkes Invasionsheer zusammenzuziehen, für das angeblich alles mobilisiert wurde, was in Süditalien Waffen tragen konnte. Im folgenden Jahr setzte Guiscard nach Dalmatien über und belagerte Dyrrhachiom (Durazzo). In dem von Kaiser Alexios schließlich herangeführten Entsatzheer, stellte die Warägergarde, in der zu dieser Zeit sehr viele Angelsachsen dienten, die Elite. In der folgenden Schlacht bildeten die Waräger den linken Flügel. Während aber die byzantinischen Truppen überall zurückgedrängt wurden, warfen sich die Waräger mit solchem Enthusiasmus auf die Normannen, dass diese zurückzuweichen begannen. Man kann sich vorstellen, dass gerade die Angelsachsen die Gelegenheit nutzen wollten, den Normannen so manche offene Rechnung heimzuzahlen. Bald befand sich der ganze Flügel auf der Flucht vor dem wilden Ansturm der Axt schwingenden Waräger. Erst dem persönlichen Eingreifen von Guiscards langobardischer Frau Sichelgaita, einer echten Walküre, soll es gelungen sein, die Flucht zu stoppen. Inzwischen hatte Guiscard Reserven frei machen können, die nun den weit vorgestoßenen und von ihrem Sturmlauf erschöpften Warägern in die Flanke fielen. Vom Rest des Heeres abgeschnitten und von mehreren Seiten angegriffen, zogen sie sich in eine nahe gelegene Kirche zurück, die dann von den Normannen angezündet wurde, so dass die meisten in den Flammen umkamen. Die Schlacht war damit verloren, und Alexios konnte nur mit Glück den Rest seines Heeres retten.
Byzanz überlebte auch diese Krise, indem es Aufstände in Süditalien und einen neuen Romzug des deutschen Kaisers finanzierte. Dennoch blieb der Bedarf an Kriegern aus dem Norden unverändert bestehen. Über Kiew scheinen zu dieser Zeit keine Rekruten mehr nach Byzanz gelangt zu sein. Dafür brachten jedoch die Kreuzzüge auseichenden Ersatz. Von den Skandinaviern auf der Durchreise ließen sich viele leicht anwerben. Manchmal waren es sogar ganze Truppenteile. So wird von einem dänischen Prinzen namens Sveno berichtet, der mit 1.500 Mann in kaiserliche Dienste getreten sein soll. Die Byzantiner scheinen sogar Waräger als Agenten beschäftigt zu haben, die den Skandinaviern in den Hafenstädten den Dienst für den Kaiser in den buntesten Farben schilderten und auch mit Geschenken nicht sparten. Als z. B. der Graf von den Orkneyinseln mit sechs Schiffen zum 2. Kreuzzug aufbrach, wurde ihm die gesamte Mannschaft abgeworben. Auch der Graf erhielt in Byzanz reiche Geschenke und kehrte schließlich auf dem Landweg in seine Heimat zurück. Falls die Werbungen unter Kreuzfahrern und Pilgern nicht ausreichten, konnte es sogar vorkommen, dass Warägeroffiziere als Botschafter direkt an die Könige von Norwegen, Schweden und Dänemark geschickt wurden, um dort um Krieger zu bitten.
Die Kreuzzüge brachten dann aber auch das Ende der Garde, als es den Venezianern 1203 gelang den 4. Kreuzzug zur Eroberung von Byzanz zu benutzen. Dem Kreuzfahrerheer von gut 33.000 Mann standen nach modernen Schätzungen etwa 15.000 auf byzantinischer Seite gegenüber, von denen allerdings nur auf die fremden Söldner - hauptsächlich Dänen und Engländer in der Warägergarde - und die Pisaner, die ihre Handelsprivilegien gegen Venedig verteidigten, Verlass war. Als es den Kreuzrittern beim ersten großen Sturm am 17.7. gelang, über die Landmauern in die Stadt einzudringen, wurden sie mit schweren Verlusten von den Warägern wieder aus der Stadt vertrieben.
Wie so oft begann der Fisch jedoch am Kopf zu stinken. Als sich Kaiser Alexius III. mit seinen Schätzen aus der Stadt absetzte, ließen sich die Waräger durch den kaiserlichen Schatzmeister dazu überreden, seinen geblendeten Konkurrenten Isaac II aus dem Gefängnis zu holen und auf den Thron zu setzen. Der Kandidat der Venezianer war Isaacs Sohn, der nun als Alexios IV gekrönt wurde. Allerdings hatte dieser den Kreuzrittern zuvor riesige Versprechungen gemacht. Während er sich also bemühte das notwendige Geld aufzubringen und die Kreuzritter das Umland plünderten, wuchs in der Stadt der Hass auf die Lateiner und ihren Protegé. Schließlich kam es zu einer Palastrevolte, bei der der neue Kandidat als Alexius V. den Thron mit Hilfe der Waräger erkämpfte. Er hatte sich ihrer Hilfe versichert, indem er ihnen erklärte, dass sie sonst durch fränkische Ritter ersetzt werden würden. Nachdem die Abkommen mit dem Kreuzfahrerheer gekündigt worden waren, kam es Mitte April 1204 zum endgültigen Sturm auf die Stadt, den auch die Waräger nicht mehr abschlagen konnten. Sie zogen sich mit dem Kaiser in den Palast zurück. Als jedoch auch dieser Kaiser und große Teile des Adels flohen, wollten die Waräger nur noch für erhöhten Sold weiterkämpfen. Schließlich ergaben sie sich den Kreuzfahrern, und man kann annehmen, dass viele von ihnen nun in deren Reihen weiter Beschäftigung fanden. Damit endete die Geschichte der Warägergarde. Für die Zeit danach existieren keine gesicherten Hinweise mehr auf die Verwendung von Skandinaviern in byzantinischen Diensten. Die kaiserliche Garde soll später von Kretern gestellt worden sein.
Historisch gesehen stehen die Waräger zwischen der Völkerwanderungszeit, in der manchmal auch Goten die kaiserliche Garde stellten, und dem Mittelalter, in dem das Söldnerwesen seine ersten Impulse von Byzanz und den Normannen erhielt. Der konstante Nachschub von Kriegern über eine derartige Distanz und einen Zeitraum von ungefähr 300 Jahren zeigt außerdem sehr schön, wie Söldnerwerbung wahrscheinlich sehr oft funktioniert hat. Wenn erst mal eine feste Beziehung zwischen einem reichen Abnehmer und einem passenden Lieferanten etabliert war, sorgten Verwandtschaftsbeziehungen und die Mundpropaganda der Heimkehrer für ausreichende Werbung. Die Methode fremde Krieger als exotische Leibwache zu verwenden, war sicher zuvor schon von vielen Hochkulturen praktiziert worden, lässt sich aber bis zur marokkanischen Leibgarde Francos oder der Schweizergarde des Papstes verfolgen.
© Frank Westenfelder
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