Hier ein Einblick in das Leben der Nordmänner welche sich selbst manchmal wohl
VIKINGR
genannt haben sollen
daraus entstand unser Wort
WIKINGER
Die drei Gesellschaftsklassen
In der wikingischen Gesellschaft gab es, vereinfacht betrachtet, drei Klassen. Die höchste davon war die der Jarle, darauf folgten die karl und ganz unten in der Rangfolge standen die thrall. Ein altes mythologisches Gedicht, das Rígsþula, führt die Entstehung dieser drei Schichten auf den Gott Heimdall zurück. Leider ist dieses Gedicht aus der Snorri-Edda nicht vollständig erhalten, denn der Schluß fehlt. Es erklärt aber die Ursprünge der drei Gesellschaftsschichten und auch der Könige.
Heimdall war eines Tages unter dem Namen Rig in der Menschenwelt unterwegs. Bei seiner Wanderung traf er auf ein altes, ärmliches Ehepaar, bei dem er drei Tage lang verweilte und nachts zwischen den Eheleuten schlief. Dann verließ er die beiden. Nach neun Monaten gebar die Frau einen Sohn, der Thrall genannt wurde. Er war extrem häßlich, aber stark und somit gut genug, um die primitivsten Arbeiten zu verrichten. Er heiratete eine zu ihm passende Frau, mit der er etliche Kinder erzeugte, welche allesamt Namen wie "Feigling", "Pferdefliege" oder "Faulpelz" erhielten. Sie verrichteten Arbeiten wie das Stechen von Torf und Schweinehüten. Somit war die Klasse der Sklaven und Diener begründet.
Rig aber ging weiter und kam wieder zum Haus eines älteren Ehepaars, welches allerdings ein wenig mehr Wohlstand genoß als das vorige. Auch hier blieb er wieder drei Tage lang und schlief zwischen den Hausbewohnern. Neun Monate nach seiner Abreise bekam die Frau ein Kind, das den Namen Karl erhielt. Als dieser herangewachsen war, begann er, sich ein Haus und dazugehörige Scheunen zu bauen und Ackerbau zu betreiben. Durch seine Heirat mit einer aus gleichen Verhältnissen stammenden Frau bekam er mehrere Söhne und Töchter, die Namen wie Held, Bauer, Schmied, Schlank, Dame, und Weib erhielten. Die Klasse der freien Männer und Bauern war entstanden.
Während Rig seine Reise fortsetzte, kam er zum Wohnsitz eines edlen Ehepaares, ein Mann, der sich mit Pfeil und Bogen beschäftigte und eine anmutige Frau. Nach reichlicher Bewirtung schlief Rig drei Nächte lanz zwischen den beiden, und nach neun Monaten gebar die Frau einen Sohn, den sie in Seide wickelte und der Jarl genannt wurde. Dieser erlernte den Umgang mit Waffen und das Reiten. Rig, der ihn als seinen Sohn ansah, kam eines Tages zurück, lehrte ihn die Runen und wies ihm das umliegende Land zu. Jarl begann, sich weite Gebiete zu erobern und war großzügig im Verteilen von Schätzen. Er heiratete eine schöne Frau und erzeugte mit ihr Kinder mit Namen wie Nachfolger, Erbe oder Verwandter, der jüngste aber hieß König. Sie wuchsen auf und beschäftigten sich mit Spielen, Schwimmen und Kämpfen. Die Klasse der Adligen ("Jarl" entspricht dem englischen "Earl") war entstanden. König allerdings war der einzige unter ihnen, der mit Runen umgehen konnte, die Sprache der Vögel verstand und die Stärke von acht Männern besaß.
Das Recht, als Gast bei der Frau des Hauses zu schlafen, taucht übrigens in einer Reihe von nordischen und irischen mittelalterlichen Dichtungen auf.
Die tatsächliche Situation
Die wirklichen gesellschaftlichen Verhältnisse zur damaligen Zeit sind selbstverständlich nicht so einfach erklärbar, wie es das Rígsþula versucht. Denn zum einen gab es in den einzelnen Schichten noch zahlreiche Abstufungen, zum anderen war es in den nordischen Ländern - im Gegensatz zum übrigen mittelalterlichen Europa - möglich, von einem Stand in den anderen zu wechseln. Zudem bestanden teilweise erhebliche Unterschiede zwischen den Ländern.
Am meisten ist über die Situation in Island bekannt, da dort vergleichsweise viel schriftlich überliefert wurde. Die Gesetzesbücher der damaligen Zeit beschreiben detailliert die Rechte und Pflichten der jeweiligen Klasse. Allerdings gab es auf Island keine Könige oder Jarle, wie in den anderen skandinavischen Ländern, wo diese aber auch eher regionale Oberhäupter waren (eine Ausnahem stellte Harald Schönhaar dar, der von 885 bis 890 durch Gewalt die Herrschaft über ganz Norwegen innehatte). Der Königs- oder Jarlstitel konnte nicht nur vererbt, sondern auch von einflußreichen Unterstützern verliehen werden. Die Adligen und Könige wurden jedoch nicht als heilig angesehen, sondern als außergewöhnlich fähige Männer. Einen König allein aufgrund seiner Stellung zu verehren, wäre den Wikingern nie in den Sinn gekommen.
Doch auch wenn man sich zu Hause in Island keinem Herrscher unterordnete, so konnte man sich dennnoch durchaus einem umherreisenden König oder Jarl als Kampfesgefährte anschließen. Somit gehörte man zu einem Kreis auserwählter Männer, die den Anführer bei all seinen Bestrebungen begleiteten und mit ihm kämpften, was als große Ehre angesehen wurde. Im Gegenzug wurde von dem Anführer erwartet, daß er seine Leute mit Speise und Trank, Kleidung, Waffen und Geschenken versorgte. Je großzügiger er war, desto mehr stieg sein Ansehen. Er mußte zudem ein starker Krieger sein, der sich nicht scheute, Seite an Seite mit seinen Männern zu kämpfen, sowie ein guter Redner, der seine Anhänger überzeugen und ihnen immer neue Hoffnung machen konnte.
Dichter genossen in der nordischen Gesellschaft ebenfalls sehr hohes Ansehen. Da nur weniges aufgeschrieben wurde, waren die Dichter, welche Skalden genannt wurden, die einzigen Vermittler von Kulturgut.
In der Klasse der freien Männer gab es, zumindest auf Island, auch besonders Privilegierte, die Goden. Jedem der Bezirke, in die die Insel unterteilt war, stand ein solcher Gode vor, der sich um die Verwaltung und gesetzlichen Angelegenheiten kümmerte. Zudem erfüllte er die Funktion eines heidnischen Priesters, von dem also eine besonders gute Beziehung zu den Göttern erwartet wurde. Zwar war dieses Amt oftmals erblich, doch ein Gode, der seine Pflichten vernachlässigte, konnte schnell durch einen anderen ersetzt werden.
Die Leute, für die der Gode zuständig war, waren die Landbesitzer in der jeweiligen Region. Auch unter diesen gab es Abstufungen in der Rangfolge, bedingt durch die Größe ihres Gebietes und ihren Reichtum oder auch durch die Verwandtschaft mit anderen mächtigen Bauern. Diese Männer besaßen völlige Freiheit, hatten das Recht, Waffen zu tragen und durften bei Versammlungen bezüglich öffentlicher Angelegenheiten ihre Meinung äußern. Sie genossen viele gesetzlich festgelegte Vorteile, die erst mit dem Ende der Wikingerzeit verschwanden, als die feudale Unterdrückung der Bauern, die im restlichen Europa schon etabliert war, auch in den nordischen Ländern Einzug hielt.
Händler hatten in etwa die gleiche gesellschaftliche Stellung inne wie die Landbesitzer, auch wenn ihnen selbst kein Gebiet gehörte. Sie benötigten allerdings einen festen Wohnsitz, der für gesetzliche Angelegenheiten notwendig war, vor allem, um jemanden zur Thingversammlung zu bestellen, wenn dort eine Angelegenheit geregelt werden mußte. Daher durfte man in Island auch nur einmal im Jahr während einem feststehenden Zeitraum von vier Tagen seinen Wohnsitz wechseln.
Die Basis der nordischen Gesellschaft allerdings bildeten die Sklaven, die wie lebender Besitz behandelt wurden und praktisch keine Rechte hatten. Sie konnten nichts besitzen, erben oder vererben und auch keine Geschäfte abschließen. Eine Heirat unter Sklaven wurde als ungültig betrachtet. Nicht anders als ihre rechtliche Stellung war auch ihr Ansehen: Man hielt sie für feig, dumm und unzuverlässig. Allerdings waren sie im Handel der damaligen Zeit ein bedeutender Faktor, in Haithabu zum Beispiel wurden regelmäßig Gefangene aus Überfällen verkauft. Viele der Sklaven kamen aus den slawischen Gebieten im Osten und aus den westeuropäischen Gebieten, wo die Wikinger häufig plünderten. Hinzu kamen Leute, die eine Schuld nicht begleichen konnten und daher bis zur Schuldenfreiheit in den Dienst des anderen treten mußten. Zwar waren Sklaven zum Betreiben eines Hofes notwendig, doch bestand die Gefahr, daß, falls man zuviele von ihnen einsetzte, diese die Oberhand gewinnen und einen Aufstand wagen konnten.
Man konnte zwar aus der Sklaverei entlassen und somit zu einem freien Mann werden, doch der soziale Status solcher Personen war noch immer sehr niedrig. Wenn sie ohne einen Erben starben, fiel ihr Besitz wieder an ihren vorherigen Herren zurück. Allerdings waren in Island die Kinder eines Freigelassenen selbst vollkommen frei, in Norwegen erst nach vier Generationen.
Es gab auch Leute, die völlig außerhalb der Gesellschaft standen. Dazu zählte man Bettler und mittellose Umherreisende, Zauberer und Seherinnen. Wurde man, beispielsweise aufgrund eines Verbrechens, geächtet, wurde man wie ein wildes Tier betrachtet und durfte von jedem straflos getötet werden.
Wie bereits angedeutet, war der soziale Status nicht unabänderbar. Ein freier Mann konnte, indem er genügend Reichtum und Ruhm erwarb, durchaus den Status eines Jarl erreichen. Anderereseits konnte ein Jarl, wenn er seinen Pflichten (Erhalt von Sicherheit, Wohlstand und Ehre in seinem Gebiet) nicht nachkam, schnell diesen Titel verlieren.
Die wikingische Gesellschaft unterschied sich also in wesentlichen Punkten von der des restlichen Europa.
Die Getränke der Wikinger
Alkoholhaltige Getränke waren im Skandinavien der Wikingerzeit sehr beliebt. Wein gab es allerdings nur als teure (oder geraubte) Importware und dürfte weitestgehend unbekannt gewesen sein. Am günstigsten herzustellen war Bier, für das es im Altnordischen unterschiedliche Begriffe gibt: ǫl (öl; so heißt Bier noch heute in den skandinavischen Sprachen), bjórr (dasselbe Wort wie deutsch "Bier") und mungát. Dabei wird häufig bjórr für importiertes, ausländisches und meist wohl stärkeres Bier verwendet, mungát eher für zu Hause gebrautes, einheimisches und schwächeres Bier. Meist jedoch steht nur die neutrale Bezeichnung ǫl, die keine Aufschlüsse über Herkunft oder Beschaffenheti des Biers zulässt. Überhaupt ist zu bedenken, dass die altnordischen Texte, die uns diese Hinweise liefern, erst deutlich nach dem Ende der Wikingerzeit verfasst wurden und in vielen Fällen wohl eher die Verhältnisse des 13. und 14. Jahrhunderts spiegeln.
Met, eine Art Wein aus vergorenem Honig (altnordisch mjǫðr) spielt zwar in der nordischen Mythologie eine wichtige Rolle, so etwa im Mythos vom Dichtermet und als Getränk der Einherjer, dürfte aber wertvoller als Bier gewesen und somit bei weitem nicht so häufig konsumiert worden sein. Allerdings kann man für die Wikingerzeit und das Mittelalter keine ganz klare Trennlinie zwischen den Getränken Bier und Met ziehen, denn es gab vielfache Mischformen davon und die Begriffe werden alles andere als konsequent verwendet. So hat man archäologisch in Dänemark Reste eines mit Honig gesüßten Bieres nachweisen können; ebenso gab es mit Sicherheit mit Kräutern gewürzten Met. Auch konnte Honig schon bei der Bierherstellung mit vergoren werden.
Das Bier der Wikingerzeit darf man sich auch geschmacklich nicht vorstellen wie das unserer Tage. Während in Deutschland gemäß dem bayerischen Reinheitsgebot nur mit Wasser, Gerstenmalz und Hopfen gebraut wird, verwandte man früher eine deutlich größere Vielfalt von Zutaten. Der Malz konnte aus jedem beliebigen Getreide hergestellt werden, also beispielsweise auch aus Emmer, Roggen, Weizen und Hafer. Hopfen kam wohl erst im 14. Jahrhundert, lange nach dem Ende der Wikingerzeit, nach Skandinavien. Stattdessen würzte man unter anderem mit Beeren, Gagel und Sumpfporst. Die Bierhefe war obergärig (wie heute noch bei Hefeweizen und Kölsch), denn untergärige Hefe, wie sie in den allermeisten heutigen Bieren verwendet wird, kam erst im 15. Jahrhundert in Deutschland auf.
Die Trinksitten der Wikinger
Gemeinsames Trinken hatte, soweit dies anhand unserer Quellen zu beurteilen ist, eine wichtige gesellschaftliche Funktion. Es förderte die Gemeinschaft der Beteiligten, konnte aber auch der Demonstration von Rangunterschieden dienen. In den Liedern der Edda, insbesondere in der Heldendichtung, ist oft ein Trinkgelage Rahmen der Handlung. Bei Festen jeglicher Art spielte Bier eine sehr wichtige Rolle.
In der Saga von Hákon dem Guten in Heimskringla, einer von Snorri Sturluson im 13. Jahrhundert zusammengestellten Geschichte der norwegischen Könige, wird das rituelle Trinken im Rahmen eines großen Opferfests im 10. Jahrhundert beschrieben:
"Jarl Sigurd von Hlaðir brachte sehr häufig Opfer dar, ebenso wie sein Vater Hákon. Jarl Sigurd richtete alle Gastmähler dort in Þrœndalǫg im Namen des Königs aus. Es war alte Sitte, dass, wenn ein Opfer stattfinden sollte, alle Bauern dorthin kommen sollten, wo der Tempel stand und dorthin ihre Vorräte bringen, die sie benutzen sollten, solange das Fest andauerte. Bei diesem Fest sollten alle Menschen an Trinkgelagen teilnehmen. Es wurden dort auch alle Arten von Vieh geschlachtet und auch Pferde. Alles Blut, das man dabei erhielt, wurde Opferblut genannt, Opferblutgefäße das, worin es sich befand. Mit Opferblutwedeln, die so gemacht waren wie Sprengwedel, sollten alle Altäre und die Wände des Tempels von außen und innen gerötet werden. Es sollte auch auf die Menschen gesprengt werden, das Fleisch aber sollte zur Bewirtung der Leute gekocht werden. Auf dem Boden in der Mitte des Tempels sollten Feuer sein mit Kesseln darüber.
Man sollte einen vollen Becher (full) ums Feuer tragen und der, der das Gastmahl ausrichtete und der Anführer war, sollte den Becher und das gesamte Opferessen weihen. Zuerst sollte es den Odinsbecher (Óðins full) geben - den sollte man auf den Sieg und die Macht seines Königs trinken, dann den Njördbecher (Njarðar full) und den Freysbecher (Freys full) für gute Ernte und Frieden. Damals pflegten viele Leute, als nächstes den Gelöbnisbecher (bragafull) zu trinken. Die Menschen tranken auch Becher auf ihre Verwandten, die in Hügeln bestattet worden waren, und die wurden Gedächtnistrunk genannt."
Der Begriff bragafull, hier als "Gelöbnisbecher" übersetzt, wird in der ebenfalls zur Heimskringla gehörenden Ynglinga saga näher erläuert:
"Zu dieser Zeit war es Brauch, wenn ein Erbmahl nach dem Tod von Königen oder Jarlen ausgerichtet werden sollte, dann sollte der, der es ausrichtete und zum Erben erklärt werden sollte, auf der Stufe vor dem Hochsitz sitzen, solange, bis ein Becher hereingetragen wurde, der Gelöbnisbecher (bragafull) genannt wurde. Jener sollte zum Empfang des Gelöbnisbechers aufstehen, ein Gelübde ablegen und anschließend den Becher austrinken. Dann sollte er auf den Hochsitz geleitet werden, der seinem Vater gehört hatte. Damit hatte er das gesamte Erbe des Toten angetreten."
Inwieweit die obige Schilderung des Opferfestes an sich als authentisch angesehen werden kann, ist zweifelhaft, doch die Beschreibung der Trinksitten selbst kann durchaus zutreffend sein. Schwüre beim Trinkgelage werden in zahlreichen Quellen erwähnt, besonders dann, wenn es sich um eine Totenfeier handelt, in deren Rahmen der Sohn das Erbe des Vaters antritt. Eine sehr amüsante Darstellung eines solchen Erbmahls, bei dem sich die Anwesenden mit ihren Versprechungen gegenseitig zu übertreffen versuchen, enthält etwa die Saga der Jomswikinger (Jómsvíkinga saga). Dass Totenfeiern in der Regel mit Trinkgelagen verbunden waren, ist sicher - im Schwedischen heißen solche Zusammenkünfte noch heute gravöl, "Grabbier".
Das gemeinsame Trinken war auch, wie oben angedeutet, ein bedeutender Bestandteil heidnischer Opferfeste. Ágrip af Nóregs konunga sögum, eine kurze Geschichte der norwegischen Könige, lässt sogar darauf schließen, dass die Trinkgelage als Merkmal religiöser Feiern auch nach der Christianisierung erhalten blieben:
"Er [König Olaf Tryggvason] war 27 Jahre alt, als er nach Norwegen kam, und in den fünf Jahren, in denen er den Königstitel trug, christianisierte er fünf Länder: Norwegen, Island, die Shetlandinseln, die Orkneyinseln und als fünftes die Färöerinseln. Er errichtete eine Kirche auf seinem Haupthof, schaffte alle Opfer und Opfergelage ab und ließ sie mit Zustimmung der Leute ersetzen durch Feiertagsgelage an Jul und Ostern, das Bier (mungát) zur Johannesmesse und das Herbstbier (haustöl) zur Michaelsmesse."
Olaf Tryggvason war von 995 bis 1000 König über Norwegen.
Wie in vielen Kulturen unterlag das Trinken in der Wikingerzeit gewissen Regeln und konnte in verschiedenen Formen durchgeführt werden. Bei Gemeinschaftsumtrünken (sveitardrykkjur) wurde ein Trinkhorn oder Becher im Kreis herumgereicht, aus dem alle nacheinander tranken. Beim Zweiertrinken (tvímenningr), auch "Zurhälftetrinken" (drekka til hálfs) genannt, tranken zwei Personen miteinander aus einem Gefäß. Beim Einzeltrinken (einmenningr) hingegen, sozusagen der härtesten Stufe, leerte jeder Beteiligte ein ganzes Horn. Dass es bei "unehrlichem" Trinken dabei leicht zu Streitigkeiten kommen konnte, ist anzunehmen und literarisch häufig erwähnt. Als besonders ehrenvoll galt es offenbar, sich vor dem Trinken zu erheben, auf den auf der anderen Längsbank gegenüber sitzenden Trinkpartner bis zum Feuer in der Mitte des Raumes zuzugehen und ihm von dort aus zuzutrinken. Die ausführlichsten Beschreibungen wikingerzeitlicher Gelage liefert übrigens die Saga von Egil Skalla-Grimsson (Egils saga Skalla-Grímssonar). Sie nennt als Trinkspruch im Übrigen nicht das erst deutlich später in Skandinavien gebräuchlich gewordene skål, sondern schlicht und einfach: "Ich trinke Dir zu, XY." (Drekk eg til þín, XY.)
In den literarischen Texten ab dem 13. Jahrhundert wird gelegentlich auch geschildert, dass vor Beginn des Gelages durch Losentscheid alle anwesenden Männer und Frauen in gemischten Paaren zum gemeinsamen Trinken eingeteilt werden. Die jeweils Überzähligen sollten für sich trinken. Ob dies glaubhaft ist, lässt sich schwer beurteilen. Interessant ist in diesem Zusammenhang jedenfalls eine Episode aus der bereits erwähnten Ynglinga saga, derzufolge es unter Wikingern nicht üblich gewesen sein soll, zusammen mit Frauen zu trinken:
"Und am Abend, wenn volle Becher (full) getrunken werden sollten, war es Brauch von Königen, die auf ihren Ländereien saßen oder bei Gastmählern, die sie ausrichten ließen, dass am Abend paarweise (tvímenningr) getrunken werden sollte, je ein Mann und eine Frau, soweit es aufging, die aber für sich, für die es nicht aufging. Es waren aber Wikingergesetze (víkinga lög), dass sie, wenn sie bei Gelagen waren, alle gemeinsam tranken (sveitardrykkja).
König Hjörvards Ehrenplatz war dem König Granmars gegenüber errichtet, und alle seine Männer saßen auf dieser Bank. Da sprach König Granmarr zu seiner Tochter Hildigunn, dass sie sich bereit machen und den Wikingern Bier bringen solle. Sie war eine sehr schöne Frau. Daraufhin nahm sie einen Silberkelch, füllte ihn, trat vor König Hjörvard und sprach: 'Seid willkommen alle Ynglingar, zum Gedächtnis an Hrolf Kraki.' Sie trank die Hälfte und gab den Kelch König Hjörvard. Er nahm ihn und zugleich ihre Hand und sprach, dass sie kommen und bei ihm sitzen solle. Sei sagte, es sei nicht Wikingersitte (víkinga sið) mit Frauen paarweise (tvímenningr) zu trinken. Hjörvard meinte, es sei davon auszugehen, dass er Veränderung durchführen werde und lieber die Wikingergesetze sein lassen und paarweise mit ihr trinken werde. Daraufhin setzte sich Hildigunn zu ihm, sie tranken zu zweit miteinander und redeten viel während des Abends."
Die Waffen der Wikinger
Waffen waren für die Wikinger nicht nur im Kampf von großer Bedeutung. Oft wurden sie einem Toten zusammen mit seinen anderen Wertsachen ins Grab gelegt. Zudem galten Waffen als Statussymbol, denn je größer die gesellschaftliche Bedeutung und das Vermögen eines Mannes war, desto prächtiger war auch seine Kampfausrüstung.
Die angesehenste Waffe der Wikinger war das Schwert, durch dessen Hiebe man dem Gegner enorm zusetzen konnte, wie Skelettfunde zeigen. Anhand der manchmal auf den Klingen eingravierten Namen der Schmiede läßt sich nachweisen, daß diese damals oft aus dem Frankenreich importiert wurden. Für die hohe Qualität dieser Schwerter war die Technik des Damaszierens verantwortlich, bei der mehrere verschiedenartige Eisen- und Stahlstränge miteinander tauartig zusammengedreht und dann breit gehämmert werden. Die Seiten wurden mit Stahl verstärkt, da dieser härter und besser zu schärfen ist; eine Rinne auf der in der Regel zwischen 70 und 80 cm langen zweischneidigen Klinge machte das Schwert leichter und elastischer. Die wikingischen Schmiede übernahmen wahrscheinlich diese Technik von den Franken, wodurch ihre selbst hergestellten Schwerter den Importprodukten in nichts nachstanden.
Die Schwertgriffe (die aus Holz, Horn oder Ähnlichem bestanden und somit in der Regel nicht erhalten sind), Knäufe und Parierstangen wurden oftmals mit Elementen der nordischen Kunst verziert, indem man sie tauschierte, also einen Draht aus Edelmetall (meist Gold oder Silber) mit einarbeitete. Man bewahrte sie in der Regel in lederbespannten Holzscheiden, die mit Vließwolle ausgekleidet waren, auf. |
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Der Speer war ebenfalls eine beliebte Waffe. Seine bis zu 50 cm lange Klinge wurde mit dem gleichen Verfahren wie die des Schwertes hergestellt und dann mit einer Tülle auf einem Holzschaft befestigt. Im Gegensatz zum Speer, der geworfen wurde, war bei der Lanze die Klinge kräftiger und schwerer und somit zum Zustechen bestens geeignet. Auch Speere wurden zuweilen kunstvoll verziert.
Streitäxte wurden im Kampf sehr häufig eingesetzt und stehen noch heute symbolisch für die Grausamkeit der Wikinger. In vielen Fällen ließen sich diese Äxte nicht von den als Werkzeuge verwendeten unterscheiden, allerdings gab es auch spezielle Breitäxte mit einer verlängerten Schneide. Da man die Streitäxte aufgrund ihres langen Schaftes mit zwei Händen führen mußte, wurden sie nur im Kampf zu Fuß eingesetzt.
Man benutzte auch Kampfmesser mit kurzen, einschneidigen Klingen, die häufig zusätzlich zum Schwert mitgeführt wurden. Auch Pfeil und Bogen wurden, vor allem zu Beginn von Kämpfen, des öfteren eingesetzt, ansonsten aber mehr zur Jagd verwendet. Man hat zwar unzählige eiserne Pfeilspitzen gefunden, doch Bögen sind, da sie aus (Eiben-)Holz bestanden, nur sehr selten erhalten.
Zum Schutz dienten meist aus Lindenholz gefertigte Rundschilde, die normalerweise einen Durchmesser von circa einem Meter hatten. Manche Schilde wurden mit Leder bezogen und der Rand mit Eisen verstärkt; zuweilen brachte man auch Metallbeschläge als Verzierung an oder bemalte den Schild farbig.
Leider ist uns nur ein wikingischer Helm vollständig erhalten, der aus einem Grab in Norwegen stammt. Dieser ist aus Eisen und hatte als Nackenschutz ein Kettengewebe an der Rückseite. Wer besonders reich war, konnte es sich leisten, ein Kettenhemd zu tragen, das den gesamten Körper, die Arme und die Beine bis zu den Knien bedeckte.
Eine solche Ausrüstung konnten natürlich nur wohlhabende Männer erwerben (es sei denn, man erbeutete sie im Kampf); die Leibgarden von Fürsten und Königen waren beispielsweise derartig gut ausgestattet.
Runen
Runen sind Schriftzeichen, die beinahe im gesamten germanischsprachigen Bereich benutzt wurden. Wann und wo genau die Runen entwickelt wurden, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Es gibt verschiedene Theorien, welche andere Schrift als Vorlage gedient haben könnte. Für die lateinische Schrift spräche die große Ähnlichkeit zwischen den Zeichen für f, r, b und m. Aber auch die griechische und die nordetruskischen Schriftarten aus dem norditalienischen Alpengebiet kommen in Frage. Man kann zwar mit Sicherheit davon ausgehen, daß es eine Vorlage gegeben hat, allerdings muß einiges an den Runen wohl auch eigenständige Entwicklung sein. So haben die Runen zwar eine feste Reihenfolge, diese unterscheidet sich aber vollkommen von bekannten Alphabeten:
Nach den ersten sechs Buchstaben wird die Runenreihe als Futhark bezeichnet. Das Futhark ist durch mehrere Inschriften, u.a. auf der Steinplatte von Kylver, gut belegt. Es ist in drei Gruppen von je acht Runen unterteilt, den sogenannten ættir ("Geschlechter", Singular ætt). Alle Runen lassen sich aus drei Bestandteilen zusammensetzen: Stab |, Zweig / und Haken <. Von Zweig und Haken können auch runde Formen auftreten.
Die Schreibrichtung variierte, d.h. es gibt Inschriften, die statt von links nach rechts von rechts nach links gelesen werden müssen. Ab der Wikingerzeit sind aber nur noch rechtsläufige Inschriften vorhanden. Zwei Runen, die einen Stab gemeinsam haben, also ineinander übergehen, werden als Binderunen bezeichnet. Manchmal tauchen auch umgedrehte Runen in Inschriften auf, sogenannte Sturzrunen. Ob diese eine spezielle Funktion erfüllten, ist unklar.
Ab dem 8. Jahrhundert sind auf Pergament Namen für die einzelnen Runen überliefert. Da es sich hier aber um recht späte Zeugnisse handelt, läßt sich die frühere Namensform nur rekonstruieren und ist in einigen Fällen recht unsicher. Zudem läßt sich nicht sagen, ob die Runennamen von Anfang an bestanden oder erst später auftauchten. Sie beginnen im Normalfall mit dem Lautwert der Rune, die sie bezeichnen. So heißt die f-Rune fehu, was "Vieh" oder "Besitz" bedeutet.
Die frühesten Funde stammen aus dem 2. Jahrhundert nach Christus und kommen größtenteils aus dem Gebiet der dänischen Inseln Seeland und Fünen. Als älteste sichere Runeninschrift gilt der Kamm von Vimose, der auf ca. 160 n.Chr. datiert wird. Eine bei Meldorf (Ditmarschen in Norddeutschland) gefundene Fibel stammt vermutlich aus der Zeit um 50 n.Chr., allerdings ist bei der darauf vorhandenen kurzen Inschrift nicht sicher, ob es sich um lateinische Buchstaben oder um Runenvorläufer handelt.
Die ältesten Inschriften finden sich vor allem auf losen Gebrauchsgegenständen, wie Schmuck, Waffen und Werkzeugen. Oft sind es einfache Besitzervermerke. Rätselhaft sind nach wie vor die alu-Inschriften. Mehr als zwanzig Inschriften, v.a. auf Brakteaten, bestehen teilweise oder ganz aus der Runenfolge alu: . Brakteaten sind dünne, runde Goldbleche, die einseitig gepreßt waren und als Schmuckstücke getragen wurden. Auf drei Urnen von dem aus dem 5. Jahrhundert stammenden Grabfeld von Spong Hill (England) ist alu sogar mit gespiegelten Runen gestempelt:
Es wurde viel spekuliert, ob dies eine magische Formel mit der Bedeutung "Schutz" oder gar "tabu" sei. Selbst mit hetithischen Worten für "Verzauberung" sollte es zusammenhängen. In der weiteren sprachlichen Entwicklung wird aber aus alu das altnordische Wort öl, das damals und heute noch "Bier" bedeutet. Die Frage ist also, warum jemand "Bier" auf ein Schmuckstück oder eine Urne schreiben sollte. Allerdings ist m.E. zu bedenken, daß damit auch Met gemeint sein könnte, also ein Honigwein, der weitaus wertvoller als Bier war und höchstwahrscheinlich eine bedeutende Funktion in der germanischen Religion hatte. Selbst in späteren Quellen wird nicht immer klar zwischen Bier und Met getrennt und es kamen archäologisch nachweisbar Mischgetränke (Bier mit Honigzusatz vor oder nach dem Gären) vor. Im Altpreußischen, einer heute ausgestorbenen baltischen Sprache, bedeutete alu noch um ca. 1400 "Met".
Eine der bekanntesten Runeninschriften stand auf einem der beiden reich mit Abbildungen verzierten Goldhörner von Gallehus (Südjütland, Dänemark), die auf ca. 400 n.Chr. datiert werden: ek HléwagastiR HóltijaR hórna táwido ("Ich Hléwagastir, Holts Nachkomme, machte das Horn"). Leider wurden die Hörner 1802 gestohlen und eingeschmolzen.
Das bisher behandelte sogenannte ältere Futhark war bis ca. 700 n.Chr. in Gebrauch. In England (und Friesland) entwickelte sich die Runenschrift eigenständig weiter und erhielt einige zusätzliche Runen, um sie sprachlichen Veränderungen besser anzupassen. Man spricht auch vom sogenannten Angelsächsischen Futhorc. Möglicherweise kam die Kenntnis der Runenschrift mit der Einwanderung der Angeln und Sachsen (ca. 450-550 n.Chr.) nach England. Runen waren dort noch bis ins 11. Jahrhundert in Gebrauch - auch für kirchliche Zwecke. Berühmt ist das aus Walknochen angefertigte Kästchen von Auzon ("Frank's Casket"), das neben Runen auch lateinische Schrift enthält und u.a. bildlich eine Szene aus der Wielandsage zeigt. Außerdem tauchen auf zahlreichen im 9. Jahrhundert geprägten Münzen Runen auf.
Während im südgermanischen Bereich die Runen nach und nach außer Gebrauch kamen, wurden sie in Skandinavien weiterentwickelt. Seltsamerweise wurde hier die ursprünglich 24 Zeichen umfassende Runenreihe auf lediglich 16 Zeichen reduziert - und das, obwohl mehr Laute als zuvor in der Sprache vorhanden waren. Somit steht im jüngeren Futhark oft ein Zeichen für mehre Laute:
i für i, e und j; a für a, ä und dumpfes o; u für u, o, ü, ö sowie w; b für b und p; t für t und d; k für k und g. Außerdem kann ein einzelner Vokal für einen Diphthong stehen und ein nasaler Laut (z.B. m, n) wird i.d.R. vor einem Konsonanten, der an derselben Stelle im Mund gebildet wird, in der Schrift ausgelassen. Das alles sorgt natürlich dafür, daß manche Inschriften mehrere unterschiedliche Lesarten zulassen. Manchmal wurden zusätzlich Punkte gesetzt, um zu zeigen, welcher Laut gemeint war.
Auch die Formen der Runen wurden weiterentwickelt und von einigen Runenzeichen entstanden verschiedene Varianten mit teils unterschiedlicher regionaler Verbreitung. Die Forschung unterteilt sie üblicherweise in Langzweigrunen, Kurzzweigrunen und stablose Runen.
Langzweigrunen:
Kurzzweigrunen:
Stablose Runen:
Die stablosen Runen mussten in ein Liniensystem eingezeichnet werden, da die Höhe bestimmter Striche für ihre Bedeutung entscheidend ist.
Auch das jüngere Futhark ist in drei ættir unterteilt, allerdings hat hier das erste ætt sechs Zeichen, die beiden anderen je fünf.
In der Wikingerzeit wurde es üblich, Runensteine zu errichten. Diese fungierten teils als Totengedenksteine, teils zeigten sie aber auch Erb- und Besitzansprüche an. Manche rühmten sich gar selbst zu ihren eigenen Lebzeiten auf einem Runenstein. Auch christliche Werke, wie der Bau einer Brücke, wurden mit Runensteinen dokumentiert - viele Inschriften stammen erst aus der christlichen Zeit. Die meisten Runensteine stehen in Schweden und hier wiederum in der Landschaft Uppland, darauf folgt Dänemark und schließlich Norwegen. Auch auf heute deutschem, aber ehemals dänischem Gebiet wurden einige Runensteine errichtet, die sich heute im Wikingermuseum Haithabu befinden. Der berühmteste hiervon ist der sogenannte Skarthi-Stein. Die gut lesbare Inschrift lautet:
svin kunukr sati stin uftir skarþa sin himþiga ias vas farin vestr ian nu varþ tauðr at hiða bu
"König Sven setzte den Stein nach Skarthi, seinem Gefolgsmann, der nach Westen gefahren war, aber jetzt getötet wurde bei Haithabu"
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Bei diesem König handelt es sich um König Sven "Gabelbart" (gestorben 1014), der mehrere Kriegszüge nach England unternahm und dieses schließlich eroberte.
Wichtige historische Zeugnisse stellen die beiden Steine von Jellinge dar, die von Svens Vater, Harald "Blauzahn" und Großvater, Gorm "dem Alten", gesetzt wurden. Diese Steine sind Teil einer großen Anlage mit zwei hohen Grabhügeln. Die Inschrift auf dem älteren, kleineren Stein lautet übersetzt: "König Gorm machte dieses Denkmal nach Thyre, seiner Frau, Dänemarks Zierde". Es handelt sich hier um die erste Erwähnung des Landesnamens Dänemark.
Die Inschrift auf dem größeren Stein wird so übersetzt: "König Harald ließ dieses Denkmal machen nach Gorm, seinem Vater, und nach Thyre, seiner Mutter; der Harald, der sich Dänemark gewann und ganz Norwegen, und die Dänen zu Christen machte". Der auf allen drei Seiten prachtvoll bebilderte Stein ist ein eindrucksvoller Machtbeweis, auch wenn die Inschrift sicherlich übertreibt.
Kopie des großen Jellingsteines. Die Seite rechts zeigt Christus am Kreuz.
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Überhaupt enthalten Runensteine neben Text oft auch Bildelemente. Häufig sind dies Schlangenwesen, deren Körper die Inschrift enthalten, und Kreuze. Bei heidnischen Steinen kommen auch Thorshämmer vor. An einigen Steinen ließen sich Reste von farbiger Bemalung nachweisen.
Ein Runenstein, der heute vor der Universität Uppsala steht. Die Inschrift lautet in Übersetzung:
"Vihmund ließ hauen den Stein für sich selbst, den geschicktesten Mann. Gott helfe der Seele Vihmunds des Steuermanns". |
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Die mit ca. 750 Runen längste Inschrift überhaupt ist gleichzeitig eine der rätselhaftesten. Sie ist auf dem Stein von Rök (Östergötland, Schweden) eingeritzt, der heute noch an seinem wahrscheinlich ursprünglichen Platz steht. Die Deutungen der Inschrift gehen weit auseinander, allerdings gibt es zwei Hauptrichtungen. Die Anhänger der Repertoire-Theorie gehen davon aus, daß die Inschrift von einem Vater zum Gedenken an seinen toten Sohn gemacht wurde und verschiedenes wichtiges Wissen mitteilt. Die Anhänger der Rache-Theorie hingegen meinen, durch die Inschrift werde zur Rache für den toten Sohn aufgefordert und die Vorbereitungen dieser Rache geschildert. Ein Teil der Inschrift ist eine Strophe in dem für Eddalieder verwendeten Versmaß Fornyrðislag, die scheinbar von dem ostgotischen König Theoderich handelt:
Reð ÞioðrikR |
Es ritt Theoderich, |
hinn þurmoði |
der kühngemute, |
stillir flutna |
der Fürst der Seekrieger, |
strandu HraiðmaraR |
über den Strand des Hreidmeeres. |
SitiR nu garuR |
Jetzt sitzt er gerüstet, |
a guta sinum |
auf seinem gotischen Roß, |
skialdi um fatlaðaR |
den Schild auf der Schulter, |
skati Mæringa. |
der Held der Märinge. (nach Düwel: Runenkunde, s.115)
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Manche Forscher wollen hier einen Bezug zu einer Theoderichstatue sehen, die Karl der Große 801 in Aachen aufstellen ließ und dies als Datierungsgrundlage für die Inschrift benutzen. Was auch immer man davon halten mag, so zeigt jedenfalls ein Vergleich der Runenformen und sprachlichen Merkmale mit andernorts gefunden und datierbaren Inschriften, daß Rök wohl tatsächlich aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts stammt. Da man aber im Grunde genommen nichts über den Hintergrund der Inschrift weiß, ist es nicht möglich, sie auch nur halbwegs sicher zu deuten.
Im skandinavischen Mittelalter waren die Runen weiterhin in Gebrauch und die Runenreihen wurden teilweise abgewandelt und erweitert. Zahlreiche Funde an mittelalterlichen Handelsplätzen belegen, daß Runen häufig für alltägliche, kurze Mitteilungen benutzt wurden. Allein in Bryggen in Bergen wurden nach einem Brand 1955 mehr als 600 Inschriften entdeckt, die größtenteils auf kleinen Holzstückchen (altnordisch: kefli) eingeritzt sind. Viele davon sind Namensvermerke für Waren: "X besitzt", andere Geschäftsbriefe oder kurze, teils obszöne Botschaften. Manche der Inschriften enthalten Verse, die Parallelen zu Eddaliedern aufweisen und daher für die Interpretation letzterer wichtig sein können.
In dem Holz mittelalterlicher Stabkirchen sind oft Namensgraffiti und kurze Botschaften eingeritzt. Runen wurden aber auch für mit Christentum und Kirche zusammenhängende Gegenstände wie Taufbecken, Glocken oder Särge verwendet.
In der schwedischen Landschaft Dalarna war eine weiterentwickelte Runeninschrift noch bis ins 19. Jahrhundert in Gebrauch.
Schriftzeichen wie die Runen haben wohl schon immer die Fantasie der Menschen beflügelt und eigneten sich daher gut für magische Verwendung. Aus einigen Eddaliedern geht hervor, daß man im Norden meinte, die Runen von den Göttern, insbesondere Odin, erhalten zu haben. Runenmagie wird u.a. in dem Eddalied Sigrdrífomál und in der Egils saga beschrieben. Noch in Zauberbüchern aus dem 16. Jahrhundert kommen Runen, gemischt mit allen möglichen anderen Zeichen, zum Einsatz.
Allerdings sollte nicht eine Inschrift, nur weil sie unverständlich ist, als magisch betrachtet werden. Runen waren in erster Linie Schriftzeichen. Dies gilt auch für sogenannte Geheimrunen, die auf verschiedene Arten, wie z.B. Abkürzung, Umstellung oder durch bloße Angabe des Platzes einer Rune in einem bestimmtem ætt, den Inhalt der Runenbotschaft verschlüsseln. Oft ist hier der Hintergrund nicht Magie, sondern eher Angeberei mit den eigenen Runenkenntnissen, Geheimhaltung des Inhalts oder Freude am Rätselraten.
Seit einigen Jahren erfreuen sich Runen wieder zunehmender Beliebtheit in der Esoterik- und auch in der Neonaziszene. Es kursieren zahllose Bücher, die ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage abstruseste Theorien zum Thema Runen und insbesondere Runenmagie verbreiten. Hierin und in dem Mißbrauch von Runen als Symbole im Nationalsozialismus liegt der Hauptgrund dafür, daß in Deutschland - im Gegensatz zu etwa den skandinavischen Ländern - heute alles, was mit Runen zu tun hat, äußerst mißtrauisch beobachtet wird.
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